Erfolgreich in digitalen Zeiten mit emotionalem Leadership

24. Dezember 2021


Gerade durch die digitale Transformation fast aller gesellschaftlicher Bereiche ist Vieles im Umbruch. Sicher auch in einem Werte-Umbruch. In der Immobilienbranche bedeutet dies, sich zunehmend auf digitale Arbeitsweisen umzustellen, aber auch ein neues Verständnis von Leadership, New Work und vor allem eine bewusste Haltung im Umgang mit den mit uns kooperierenden Menschen zu entwickeln. Immobilienunternehmer Michael Müller blickt in seinem Gastbeitrag sowohl auf vergangene, stabile Faktoren des Unternehmenserfolgs als auch auf die dynamischen, herausfordernden Transformationsprozesse der digitalen Zukunft.

Von Michael Müller

„Unsere Verwaltung bietet Ihnen digitale 360-Grad-Rundgänge…, ein Videocall ist gar kein Problem…, natürlich haben wir ein cloudbasiertes Softwaresystem“. Wir alle kennen diese Sätze. Die Digitalisierung unserer Branche hat nicht erst seit der Pandemie an sprichwörtlicher Fahrt aufgenommen. Selbstverständlich müssen professionelle Immobilienunternehmen mittlerweile eine konzeptionelle Digitalisierungsstrategie entwickeln, um wettbewerbsfähig zu sein oder zu bleiben.

Dabei geht es um Unternehmenskommunikation nach innen und außen, Positionierung auf gängigen Wettbewerbs- und Werbekanälen ebenso wie um Cyber-Security für die eigene digitale Unternehmensinfrastruktur. Künstliche Intelligenz ist nicht zuletzt bei einschlägigen Bewertungsportalen auf dem Vormarsch und Algorithmen werden in der Arbeit zum täglichen Begleiter.

So weit, so gut. Die Zukunft ist digital und auch die bis dato quasi aus der Zeit gefallenen Unternehmen müssen diesen Weg für die eigene Erfolgsprognose gehen — um zu wachsen oder um schlichtweg überhaupt weiterhin bestehen zu können.

Kulturelle Veränderungen

Allerdings stellt sich gleichzeitig die Frage, ob der vielzitierte Begriff „New Work“, der mittlerweile häufig Claims von großen Keynote-Speakern und Coaches ist und sich wie ein roter Faden durch Abstracts von Vorträgen und Artikeln zieht, wirklich diese digitale Transformation im technologischen Sinn fokussieren sollte. Möglicherweise ist es für den eigenen Unternehmenserfolg und für die Findung einer wirklich zeitgemäßen Unternehmensphilosophie ebenso wichtig, den Blick auf kulturelle Veränderungen in unserer digitalen Gesellschaft zu werfen.

Digitalisierungsprozesse haben genau hier nämlich möglicherweise ebenso besorgniserregende Einflüsse. Zeitliche Entgrenzung von Arbeitszeit, dauerhafte Erreichbarkeit, Reizüberflutung durch die parallele Nutzung diverser medialer Kanäle und eine Veränderung von Kommunikation im Sinne einer Oberflächlichkeit, die menschliche Beziehungen verändert, seien hier nur exemplarisch genannt.

Fokussiert man genau diese negativ transformierenden Einflüsse, muss daraus zwangsläufig eine neue, diese Erkenntnisse aufgreifende Betrachtung von Leadership und Kundenmanagement erwachsen. Lebenszeit im Sinne der eigenen Arbeitszeit

Auf die Frage „Wo will ich mit meinem Unternehmen hin?“ kann es folglich nur eine Antwort geben: Hin zu einem Unternehmen, in denen sich Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartnerschaften wertgeschätzt und gesehen fühlen. Hin zu einem Unternehmen, dem man vertrauensvoll Lebenszeit im Sinne der eigenen Arbeitsleistung schenkt. Diesen Blick haben Geschäftsführungen vielfach im digitalen Transformationsprozess verloren, vielleicht allerdings auch noch nie gehabt. Wendet man seinen Blick für einen Moment auf andere Gelingensbedingungen eines digitalen Transformationsprozesses, wird schnell deutlich, dass insbesondere der Faktor Mensch eine entscheidende Rolle im Gelingen des Erreichens eines wirtschaftlichen und letztlich gesamtunternehmerischen Erfolges spielt. Im sogenannten DISG-Modell (s. Abb. 1) als Grundlage der Betrachtung sieht man deutlich, dass Menschen systematischen Klassifizierungen zuzuordnen sind, was zunächst sehr analytisch klingt.

Insbesondere im Bereich der Mitarbeiterführung, aber auch Kundenkommunikation und -interaktion spielt diese Klassifizierung eine zunehmend bedeutsame Rolle. Ordne ich einen Mitarbeiter oder auch einen Kunden eher dem Bereich „Gewissenhaft“ zu, weiß ich, dass ich sehr präzise und faktenorientiert arbeiten und kommunizieren muss, um eine gemeinsame Basis und letztlich Zielerreichung herstellen zu können. Natürlich war diese Erkenntnis auch schon früher hilfreich, allerdings hat die digitale Transformation auch Verhaltensweisen verstärkt. Das Netz ermöglicht uns, vermeintlich selbst zu Experten in allen Bereichen zu werden, zu vergleichen, zu bewerten, zu messen, was eben bedeutet, dass ich viel aufmerksamer und emphatischer agieren muss, um von mir, meinem Unternehmen und meinen Visionen für das gemeinsame Ziel überzeugen zu können.

Bedarf an Einfühlungsvermögen

Gleichzeitig zeigt das Modell sehr deutlich, dass die Bereiche der Menschlichkeit natürlich überschneidend wirken können, letztlich aber nur alle gemeinsam ein Teil des Ganzen sind, die miteinander wirken. Diese Erkenntnis zeigt erneut, dass es einen hohen Grad an Einfühlungsvermögen bedarf, um Menschen für sich, für eine gemeinsame Herausforderung, einen gemeinsamen Weg und ein gemeinsames Ziel zu gewinnen. Ebenso verhält es sich mit dem Gedanken zu menschlichen Komfortzonen. Gerade die Pandemie hat ein gesellschaftliches Bedürfnis nach Sicherheit, Gewohnheit und Normalität hervorgerufen. Transformations- und Entwicklungsprozesse wie auch Fort- und Weiterbildung werden derzeit vielfach als zusätzliche Arbeitsbelastung empfunden. Schaut man auf das Komfortzonen-Modell (s. Abb. 2), ist dieses Phänomen möglicherweise gut nachvollziehbar.

Ein romantisiertes Märchenschloss

Menschen fühlen sich in gewohnten, vermeintlich sicheren, da bekannten Strukturen wohl und geborgen. Die sprichwörtlich genannte Komfortzone wirkt insbesondere in diesen dynamischen, pandemischen Zeiten nahezu als romantisiertes Märchenschloss. Sicherheit in unsicheren Zeiten. Gleichzeitig lässt sich jedoch konstatieren, dass die Komfortzone derzeit immer kleiner und der Druck — sei es aus Transformationsprozessen oder gesellschaftlicher Entwicklung heraus — von außen größer wird.

Um nun also aus der auch unternehmerischen Komfortzone herauszutreten, um wirtschaftliches Wachstum, aber auch individuell definierte Ziele zu erreichen, ist es unabdingbar, die Phasen der Transformationsprozesse zu verinnerlichen und anzuerkennen. Selbstverständlich haben Menschen stets Ausflüchte (Angstzone), warum eine Veränderung eigentlich nicht möglich ist.

Hier ist eine Kenntnis über die unternehmerische Arbeit in der VUCA-Welt (s. Abb. 3), die die komplexen Veränderungen unserer Zeit gut beschreibt, vonnöten. Dieser Kunstbegriff beschreibt mehr denn je, wie unstet die Arbeitswelt ist und welchen Veränderungsprozessen sie gerade in diesen Zeiten von Digitalisierung und daraus resultierenden „New Work“ Ideen unterliegt.

Unsere Arbeitswelt der Zukunft ist zunehmend geprägt von Flüchtigkeit (Volatility), Ungewissheit (Uncertainty), Komplexität (Complexity) und Mehrdeutigkeit (Ambiguity). Menschen, die in der VUCA-Welt, gepaart mit allen Prozessen der digitalen Transformation, bestehen müssen, brauchen völlig neue gelebte Beziehungen und Selbstbestätigung. Um dieser Konstellation gerecht zu werden benötigt es eine neue Erkenntnis von gutem Leadership.

Anerkennung und Wertschätzung

Waren Unternehmensführungen jahrelang in ihrer Ausrichtung orientiert an wirtschaftlichem, gleichsam umsatzorientiertem Wachstum, so ist möglicherweise genau jetzt ein Umdenken hinsichtlich der internen Prozesse notwendig, um eben jene Ziele auch weiterhin erreichen zu können. Wirtschaftliche, stringente Unternehmensführung muss insbesondere einen emotionalen Leadership-Gedanken in den Fokus aller Transformations-Ideen setzen.

Emotionale Ausrichtung erkennen

Nur, wenn es in Zukunft gelingt, Mitarbeiter wie auch Kunden und Geschäftspartner in ihrer emotionalen Ausrichtung zu erkennen und vor allem wertzuschätzen, wird es letztlich gelingen können, wirklich zu motivieren, Vertrauen in Kundenbeziehungen aufzubauen und nachhaltig mit wirtschaftlichem Erfolg zu verarbeiten. Vertiefend bedeutet diese Erkenntnis, dass es darum gehen muss, Arbeitsplätze und Kundenbegegnungen nahezu zu kleinen Wohlfühloasen im Sinne einer zeitgemäßen Komfortzone zu machen.

Ob es sich hierbei um die Gestaltung des Arbeitsplatzes, einem unternehmenseigenen Feel-Good-Manager oder neue Arbeitszeitmodelle geht, muss jedes Unternehmen für sich in seiner Individualität entwickeln. Der verbindende Faktor aller Prozesse ist aber eben der Mensch mit seinen ebenso individuellen Stärken, Schwächen und Charakter-
zügen.

Neue Kultur des Miteinanders

Die digitalen Transformationsprozesse in Immobilienunternehmen, aber auch sämtlichen anderen Unternehmensbereichen, führt letztlich zu einer neuen Kultur des Miteinanders in einer neuen Kultur der Digitalität. Die ist gekennzeichnet von immer komplexeren Herausforderungen, die am Ende eben nicht von digitalen Technologien und Künstlicher Intelligenz gelöst werden können, weil ein entscheidender Unsicherheitsfaktor bleibt: Der Mensch in seinen Gedanken, seinen Haltungen, Wahrnehmungen und Emotionen.

Gelingt es einer Unternehmensführung, sich selbst im emotionalen Leadership zu verankern und genau diese Erkenntnis als Nährboden für kommende Transformationsprozesse im eigenen Unternehmen zu sehen, steht einer blühenden Unternehmenskultur in unserem wunderbaren Immobiliensektor nichts mehr entgegen. Wertschätzung, gegenseitiger Respekt, Verständnis und Anerkennung, Vertrauen: Setzen wir neue Meilensteine in unruhigen Zeiten.

 

Abbildung 1: DISG-Modell