Es gibt kein Pokerface

6. November 2019


Kommunikationspsychologin und Unternehmensberaterin Petra Peinemann hält auf dem Personalmanagement-Tag im November einen Vortrag zum „Code der Mimik“. Im AIZ-Interview erklärt sie, warum wir unsere Emotionen im Gesicht nicht verstecken können und wie Unternehmer durch emotionale Intelligenz bessere Führungskräfte werden und Vertriebsmitarbeiter ihren Umsatz steigern können.

Interview von Johanna Böhnke, AIZ-Redakteurin

AIZ: Warum ist es gerade für Führungskräfte und Vertriebler so wichtig, aus den Gesichtern anderer Menschen lesen zu können?

Petra Peinemann: Für Führungskräfte ist es heute mit das wichtigste, wertschätzend zu führen. Große Studien wie der Gallup Engagement Index zeigen jährlich wieder, dass Führungskräfte die sogenannten weichen Faktoren vernachlässigen. Die besten Führungskräfte verstehen es, wertschätzend, vertrauensvoll und transparent zu führen und damit die Produktivität und Unternehmensbidnung zu fördern. Nicht umsonst spricht man davon, dass Mitarbeiter nicht das Unternehmen, sondern ihre Führungskraft verlassen. Das heißt, es hat eine große Bedeutung für Führungskräfte, dass sie empathisch agieren. Das bedeutet auch, dass sie unausgesprochene Emotionen bei ihren Mitarbeitern erkennen und ansprechen können. Wer sich mit Mimik und Körpersprache beschäftigt, kann zum Beispiel an Hand von Mikro-Expressionen schon bei der Aufgabenverteilung erkennen, dass ein Mitarbeiter sich gerade überfordert fühlt, und die Sorgen des Mitarbeiters ansprechen.

Das gleiche gilt auch im Vertrieb. Ein Kunde wird letztendlich immer bei dem Kontakt kaufen, bei dem er das Gefühl hat, dass „die Chemie stimmt“. Das gilt auch besonders in der Immobilienbranche, in der es wichtig ist, dass Käufer und Verkäufer bei einer so wichtigen Entscheidung Vertrauen zum Makler aufbauen.

Welche mimischen Expressionen lassen sich leicht entziffern? Welche werden hingegen schnell fehlinterpretiert? Woran kann man zum Beispiel erkennen, ob sich jemand unwohl oder überfordert fühlt?
Freude oder Verachtung sind durch Mikro-Expressionen mit am leichtesten zu erkennen, auch wenn das manchmal eben sehr subtil ist. Wenn wir von diesen mimischen Expressionen sprechen, muss man sich bewusst machen, dass sie schneller als ein Wimpernschlag sind. Sie bewegen sich in einem Bereich zwischen 40 und 500 Milli­sekunden.

Häufig verwechselt werden tatsächlich Angst und Überraschung, dabei gibt es inhaltlich natürlich einen sehr großen Unterschied zwischen den beiden Emotionen. Sie behandeln ihren Gesprächspartner ganz anders, wenn Sie Angst erkannt haben, als wenn Sie Überraschung vermuten.

Warum liegt das so nah aneinander? Was passiert da im Gesicht, dass diese Emotionen so leicht miteinander verwechselt werden?

Emotionen können sich in verschie­denen Bereichen des Gesichtes widerspiegeln: In der Mundregion, der Augenregion oder im mittleren Teil des Gesichtes. Es müssen nicht immer alle Anzeichen für eine Emotion in jedem Bereich gleich auftauchen, weil die Expression manchmal sehr subtil ist. Bei Angst ist es häufig so, dass sich die Augenpartie stark verändert. Die Augen vergrößern sich leicht oder das untere Augenlied ist angespannt. Vergrößerte Augen kann man zum Beispiel auch bei der Überraschung beobachten.

Kann man diese mimischen Expressionen bewusst steuern?

Unsere mimische Muskulatur ist ganz eng mit unserem Emotionszentrum verbunden. In dem Moment, in dem eine Emotion in uns aufsteigt, ganz besonders bei Themen, die uns stark berühren oder interessieren oder auch dann, wenn wir vielleicht vor dem anderen etwas verbergen wollen, spiegelt sich das in Sekundenbruchteilen im Gesicht wider. Und auch, wenn jemand selber mit diesem Thema arbeitet, das Ganze sehr gut lesen und interpretieren kann, schützt das nicht davor, dass da eben das Gleiche passiert.

Das heißt, man kann lernen, Mimik zu lesen, aber man kann nicht lernen, seine eigene Mimik so zu verändern, dass man irgendwas vortäuschen kann?

Zumindest nicht im Bereich der MikroExpressionen, die so extrem kurz sind. Man spricht ja im Volksmund häufig von dem sogenannten Pokerface. Wenn man sich aber mal die professionellen Pokerspieler in Las Vegas anschaut, sieht man, dass sich dort ganz viele von denen stark verhüllen. Die tragen Sonnenbrillen oder Tücher um den Kopf geschlungen und das machen sie mit Sicherheit nicht, weil es dort so kalt ist oder die Sonne blendet, sondern weil sie genau um diese wissenschaftlichen Erkenntnisse wissen.

In Serien wie „Sherlock“ oder „The Mentalist“ werden durch gezieltes Lesen von Körpersprache und Mimik ganze Mordfälle gelöst. Wie lange braucht es, bis man die Zeichen so genau erkennen kann? Ist das überhaupt möglich?

Ich kenne die beiden Serien nur in Ansätzen. Man darf natürlich nicht vergessen, dass dort sehr viel künstlerische Freiheit genutzt wird. Ein gutes Beispiel ist aber die Serie „Lie to Me“. Gerade die erste Staffel bildet ziemlich gut ab, was tatsächlich durch Mimik-Erkennung möglich ist. Diese Staffel wurde von Dr. Paul Ekman begleitet. Das ist einer der Psychologen, die im letzten Jahrhundert wesentlich zu dieser Forschung beigetragen haben. Er sagte mal in einem Interview mit einer deutschen Zeitschrift wortwörtlich „Mir entgeht kein Gesichtsausdruck“. Das heißt, jemand, der das Ganze nicht nur theoretisch gelernt hat, sondern sich damit sehr viel beschäftigt, der kann tatsächlich sehr viele Dinge erkennen. Die Grundkenntnisse sind relativ schnell erlernbar und es ist wichtig diese zu haben, um überhaupt erstmal zu wissen, worauf man achten muss. Aber das Ganze zur Perfektion zu bringen, dauert dann schon etwas länger.

Wie hilft das Lesen der Mimik dabei, ein Gespräch in die richtige Richtung zu führen?

Wenn Sie zum Beispiel in einem Verkaufsgespräch in der Lage sind, zu erkennen, ob ein Kunde ablehnend, erschreckt oder mit leichter, subtiler Freude auf einen Preis reagiert, haben Sie feine und sehr wertvolle Informationen. Bei leichter Freude ist es vermutlich so, dass der Kunde mit einem wesentlich höheren Preis gerechnet hat, wenn er ablehnend schaut oder vielleicht sogar erschreckt, signalisiert das, dass er mit weniger gerechnet hat. Das ist insofern eine sehr wertvolle Information, weil Sie dann wissen, wie Sie weiter verhandeln können, wie Sie weitere Informationen erhalten und Sie letzten Endes dem Kunden, das ganze Paket so schnüren, dass er trotz eines Preises, der höher ist als erwartet, das Produkt doch kauft.

Das ist sehr wichtig im Vertrieb. Wie ist es im Personalmanagement, kann man das zum Beispiel auch in Bewerbungsgesprächen anwenden?

Ein ganz wichtiger Aspekt, den Sie da ansprechen, und zwar wenn es darum geht, die richtigen Mitarbeiter zu finden, die ins Team passen und nicht nach ein paar Monaten wieder weg sind. Viele haben heute gelernt, wie man die Bewerbungsunterlagen perfekt erstellt und auch für das Bewerbungsgespräch kann man sich coachen lassen, um einen perfekten Auftritt hinzulegen. Wenn Sie jedoch die Mimik und Körpersprache des Bewerbers lesen können, können Sie über die Fassade hinweg­sehen und erkennen zum Beispiel, wenn bei der Frage nach einer bestimmten Qualifikation kurzzeitig Angst aufkommt. An diesen Stellen bietet es sich an, gezielt nachzufragen und so herauszufinden, ob der Bewerber eventuell nicht ganz ehrlich war.

Sie beschäftigen sich außerdem viel mit emotionaler Intelligenz. Was ist emotionale Intelligenz und wieso ist sie der Schlüssel zum Erfolg?

Emotionale Intelligenz kennzeichnet die Fähigkeit, seine eigenen Gefühle und die des Gesprächspartners korrekt wahrzunehmen und dann wertschätzend damit umzugehen beziehungsweise sie entsprechend zu beeinflussen. Die fachlich besten Mitarbeiter werden scheitern, wenn es ihnen an dieser Fähigkeit fehlt. Es gibt einige Tests, mit denen man emotionale Intelligenz messen kann. Damit arbeite ich auch in meinen Seminaren. Teilnehmer machen zum Beispiel einen Emotions­erkennungstest, bevor sie in ein Training gehen. Damit können wir schauen, wo sie überhaupt stehen und wie gut ihre emotionale Intelligenz schon ausgeprägt ist. Nach dem Training wird der Test wiederholt, um zu sehen, wie die Fähigkeiten sich verbessert haben. Das ist gut für die Firmen, weil der Erfolg damit messbar dargestellt wird, aber auch sehr gut für die Mitarbeiter die so sehen, was sie bewirken können.

Wie kann man denn die eigene emotionale Intelligenz verbessern?

Zunächst einmal ist es wichtig, zu lernen, welche Emotionen es überhaupt gibt, woran man sie erkennt und was auch mit einem selbst passiert, wenn man diese Emotionen verspürt. Das in der Theorie zu erkennen, ist der erste Schritt. Die nächste Hürde besteht darin, sich auch zu trauen, die erkannten mimischen Ausdrücke wertschätzend anzusprechen. Wie man praktisch in einem Gespräch damit arbeiten kann, das muss man tatsächlich üben. Das kann man am besten, indem man ein Seminar besucht. Wenn man die entsprechenden Fähigkeiten einmal erlernt hat, dann ist das ein unumkehrbarer Prozess und man kann immer daran arbeiten und sich weiter verbessern.

Warum ist das Thema gerade in Zeiten der Digitalisierung so relevant?

Für mich liegt das ganz schlüssig auf der Hand: Je digitaler wir werden, umso wichtiger ist es, dass dabei der Mensch im Mittelpunkt steht. Wir arbeiten mittlerweile über Ländergrenzen hinweg, haben immer wieder neue Projekte, arbeiten immer wieder mit anderen Menschen zusammen und das über viele verschiedene Kulturen hinweg, die uns manchmal sehr fremd sind. Dabei ist es wichtig, die eigenen Emotionen und die der anderen nicht aus dem Blick zu verlieren. Das erleichtert die sozialen Interaktionen ungemein. Gerade, wenn wir uns in einer Sprache unterhalten, die wir noch nicht so gut verstehen, ist es unglaublich wichtig, auf Mimik und Körpersprache zu achten.
Gesten wie ein Kopfschütteln oder Nicken können von Kultur zu Kultur unterschiedlich interpretiert werden. Sind Mikro-Expressionen in den Gesichtern von Menschen denn in allen Kulturen gleich?

Was die Gestik und die Körpersprache betrifft, muss man tatsächlich vorsichtig sein, weil Gesten häufig kulturell erlernt sind. Manche Bewegungen, die wir hier in Deutschland machen, um etwas Positives auszudrücken, können in anderen Ländern sehr negativ aufgefasst werden. Darüber sollte man sich vorher immer gut informieren. In Bezug auf die Mimik zeigen Studien jedoch, dass sie kulturübergreifend ist. Das hat unter anderem Dr. Paul Ekman erforscht und erkannt, dass die mimischen Expressionen in den Basisemotionen bei allen Menschen auf allen Kontinenten gleich sind. Wer Mikroexpressionen lesen kann, kann dadurch also auch erkennen, wie ein Mensch aus einer fremden Kultur, mit einer uns fremden Sprache auf das Gesagte reagiert. Damit spielen Mikro-Expressionen im internationalen Kontext eine besonders wichtige Rolle.

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