Hochhäuser sind kein Patentrezept gegen Wohnungsmangel

19. Oktober 2017


Mit Hochhäusern allein lassen sich nicht genug Wohnungen schaffen. Vielmehr muss das Umland besser mit wachstumsstarken Schwarmstädten vernetzt werden. Aber das Bauen in der Fläche muss abgestimmt werden. Nur so ist dem Wohnungsmangel beizukommen.

Von Stefan Frey

Die Diskussion um die Schaffung neuen Wohnraums gipfelt gerne in der Forderung nach mehr Hochhäusern. Sie sorgen aber nur bedingt für Entspannung: Nahezu alle Projekte entstehen in Innenstädten und sind im Hochpreissegment angesiedelt: Die Grundstücke sind teuer, die Erstellungskosten für vertikales Bauen ebenso. Die meisten Landesbauordnungen verlangen ab einer Gebäudehöhe von 60 Metern ein zusätzliches Treppenhaus als Rettungsweg. Außerdem fallen Mehrausgaben für Statik und Logistik an. So kommt es, dass die Baukosten etwa 15 Prozent höher sind als bei einem herkömmlichen Mehrfamilienhaus. Laut einer Analyse von Jones Lang LaSalle werden für Hochhauswohnungen im Erstbezug im Schnitt 9.000 Euro pro Quadratmeter verlangt.
Preisgedämpfter und öffentlich geförderter Wohnraum entsteht so kaum. Und den Fehler der 1970er Jahre, Hochhäuser an der Peripherie auf günstigem Baugrund und mit mäßiger Infrastruktur zu bauen, will verständlicherweise kein Investor wiederholen.
Über 52 Prozent der Hochhaus-Projekte konzentrieren sich auf Frankfurt und Berlin. Das kommt nicht von ungefähr; andere Großstädte setzen andere Prioritäten. So wurde in Köln vor über zehn Jahren Vertikalbau in der City beschränkt. Ansonsten verliert der Dom seinen Weltkulturerbe-Status. In München sprachen sich die Bürger 2004 dafür aus, in der Innenstadt die Bauhöhe zu begrenzen: Kein Gebäude darf höher als die Türme der Frauenkirche sein, die hundert Meter messen.
Auch für Stadtklima und Stickoxid-Belastung sind Hochhäuser eher schlecht, weil sich zwischen ihnen Hitze und Abgase stauen. Höhere Häuser ziehen auch mehr Autoverkehr in die vielfach überlasteten Städte.
Jenseits vom Hochhausbau tun die Kommunen viel, um neue Wohnungen zu schaffen. Häuser werden aufgestockt, Industriebrachen für die Wohnbebauung vorgesehen. Felder und Wiesen am Stadtrand geraten ins Visier. Aber dennoch gelangen sie langsam an ihre Grenzen, wollen sie nicht Parks, Schrebergärten und Sportplätze für die Wohnbebauung freigeben. Geschieht dies, müssen die Verantwortlichen mit dem Protest der Bürger rechnen. Prägnantes Beispiel ist der ehemalige Berliner Flughafen Tempelhof.

 

Bessere Verzahnung mit Umland

Kurz: Helfen können auf lange Sicht nur eine bessere Verzahnung der Schwarmstädte mit ihren Regionen, eine abgestimmte Planung von Wohnraum und Arbeitsplätzen, die nicht an den Stadtgrenzen haltmacht. Für Ballungsregionen besonders wichtig sind benachbarte Mittelstädte, die zwischen 25.000 und 100.000 Einwohner zählen. Diese bieten eine gute Infrastruktur an Schulen, Kitas, Nahversorgern, Ärzten etc. Einzig zum Arbeiten sind viele gezwungen, ins Oberzentrum zu fahren.
In diesen Gemeinden sollten an ÖPNV-Haltestellen gelegenes Wohnbauland ausgewiesen werden, nicht an den Stadträndern. Bei der Planung ist entscheidend, dass die ÖPNV-Anbindung bereits beim Einzug der Menschen funktionsfähig ist. Die Planung der Anbindung darf nicht auf die lange Bank geschoben werden, wie dies in den zurückliegenden Jahren vielfach geschah.
Zwar gibt es viele Initiativen zu solchen Metropolregionen, aber dahinter verbergen sich oft Lippenbekenntnisse. De facto bekriegen sich Nachbarstädte eher, indem sie mit niedrigeren Gewerbesteuer-Hebesätzen ihre Nachbarn ausstechen. Eine vertrauensvolle Kooperation sieht anders aus.
Daher ist es kein Wunder, dass funktionierende Beispiele vor allem im Ausland zu finden sind. So denken Paris (Le Grand Paris) und London (Greater London) seit Jahren über ihre Stadtgrenze hinaus. Paris baut beispielsweise zusammen mit umliegenden Departements an einer gemeinsamen Verkehrsinfrastruktur, Wohnraumversorgung und wirtschaftlichen Entwicklung.
Nur wenn es gelingt, Umlandstädte zu integrieren, werden auch wieder vermehrt junge Familien Wohneigentum erwerben können. Das Durchschnittsalter der Erstkäufer liegt aktuell in Deutschland bei 48 Jahren. Eine familienfreundliche Baupolitik stellt man sich anders vor.