Mission: Marke

5. April 2018


Die Macher großer Marken können sich nicht auf ihren Erfolgen ausruhen. Der digitale Wandel hat viele neue Marktteilnehmer hervorgebracht. Disruptoren — Störer — drängen in sämtliche Bereiche der Wirtschaft. Der erste Tesla war ein Schock für die etablierte Automobilindustrie, ein Angriff auf Topmarken. Elon Musk führte vor, dass der Verbrennungsmotor schneller abgelöst werden könnte als vielen lieb ist.

Von Jan Kricheldorf 

Am 1. Dezember 2017 kündigte Elon Musk den Start einer Falcon Heavy Rakete seines Unternehmens Spacex an. Etwas später noch am selben Tag schob Elon Musk trocken über Twitter nach: „Als Nutzlast dient mein kirschfarbener Tesla Roadster, in dem Space Oddity [von David Bowie] läuft. Kurs ist der Mars-Orbit. Er wird für eine Millionen Jahre oder so im tiefen All unterwegs sein, wenn er nicht beim Start explodiert.“ Tat er nicht.

Marketing in kosmischen Sphären

Der Tesla bewegt sich derzeit mit einer Geschwindigkeit von 12.500 km/h von der Erde weg und wird, wenn Sie diese AIZ im Briefkasten haben, eine Entfernung von circa 13 Millionen Kilometern zurückgelegt haben. Die Bilder vom Tesla in der Umlaufbahn gingen um die Welt. Und auf YouTube können Sie jederzeit im Live-Stream nachsehen, wo das Auto gerade „parkt“ wie es Tesla-Chef Elon Musk ausdrückt. Mit seiner Aktion lässt der Visionär keinen Zweifel daran, dass Tesla die großen Marken zumindest in kosmischen Dimensionen überflügelt hat.

Auch irdisch hat der Unternehmer eine ganze Menge Unruhe in der Automobilindustrie verbreitet. Denn die Geschichte von
Tesla ist noch jung. Der erste Roadster kam 2008 auf den Markt und war das erste Auto, dass mehr oder weniger von gewöhnlichen Lithium-Akkus angetrieben wurde. Die selben Batterietypen werden in handelsüblichen Laptops verwendet. Gegründet wurde das US-Unternehmen Tesla im Silicon Valley schon 2003 von einem Elektroingenieur und einem Informatiker. Aber erst durch den Investor Elon Musk begann Tesla zu einer großen Marke und zu einer Gefahr für die etablierte Automobilindustrie zu werden. Der Umsatz des Unternehmens stieg von 111 Millionen Dollar im Jahr 2009 auf 12 Milliarden letztes Jahr. Und das mit einem reinen Elektroauto. Ausgerechnet dem Elektroantrieb, den es ja schon seit 1834 gibt, hatten die etablierten Marken wie Mercedes und BMW eigentlich keine glanzvolle Zukunft vorhergesagt. Zu aufwändig. Zu teuer. Zu wenig Ladesäulen. Zu lange Ladezeiten. Während aber der erste Tesla schon auf eine Reichweite von 340 Kilometern kam, ging den ersten Serienfahrzeugen wie dem BMW i3 schon zwischen 100 und 200 Kilometern die Puste aus. Passten in den 2013 vorgestellten Tesla X schon 7 Personen, waren die Elektrofahrzeuge von BMW eher Kleinwagen. Heute liegen die Ladezeiten mit so genannten Super Chargern bei gerade einmal 30 Minuten.
Die deutschen Autobauer
haben den Newcomer unterschätzt

Tesla mag in der Anfangszeit belächelt worden sein, doch das Lächeln ist den deutschen Ingenieuren vergangen. Längst haben die großen deutschen Autobauer erkannt, dass man die Shooting-Star-Marke nicht ignorieren kann und arbeiten an geeigneten Antworten auf den Markenangriff. In der Fachsprache der Ökonomen heißt das Change Management — Veränderungsmanagement — und gilt als wichtige Methode, um Marken entweder neu zu positionieren oder Imageschäden von Marken zu nehmen. Nichts zu tun, das haben sie erkannt, ist von allen Optionen die schlechteste.

Der digitale Wandel bringt Gewinner und Verlierer hervor. Es ist nicht nur die Videothek, die in der Nachbarschaft schließt. Große Firmen, wie der Film- und Kamerahersteller Kodak zum Beispiel, mussten enorme Umsatzverluste verkraften. 1996 machte das Unternehmen noch 26 Milliarden Dollar Umsatz, zehn Jahre später waren es nur noch 1,5 Milliarden. Paradoxer Weise kam die erste Digitalkamera auch noch aus dem eigenen Haus. Es gelang nicht, den Verlust der alten Erlösmodelle mit neuen Erlösmodellen zu kompensieren. Dazu war die Unternehmensstruktur zu unbeweglich. Der Wechsel von analogen Kameras zu digitalen ging einfach zu schnell. Dennoch hat die Marke Kodak überlebt.

Die Parallele zur Immobilienbranche

Change Management ist es auch, was in der Immobilienbranche dringend stattfinden muss. Dabei wird es sich als Vorteil erweisen, dass die Dienstleistungsunternehmen der Immobilienbranche überwiegend Kleinunternehmer sind. Es mag zwar zu einer Konsolidierung der Marktteilnehmer kommen, aber Kleinunternehmer können viel schneller auf Marktveränderungen reagieren als größere Unternehmen.  Genau das ist aber auch der Vorteil der Startups und Proptechs, die derzeit auf den Markt drängen. Die Mission Marke ist noch lange nicht entschieden.

Proptechs gehen die Geschäftsentwickling mit mehr Leichtigkeit an, denken quer, brechen mit Tabus, begehen neue Pfade. Die alten Hasen tun sich mit neuen Technologien schwerer, sind aber mit den lokalen Märkten eng verbunden und profitieren von gewachsenen Kundenbeziehungen. Die langjährigen Marktteilnehmer sind Marktveränderungen in der Immobilienbranche gewohnt. Mal Nachfragermarkt, mal Anbietermarkt — das erfordert Flexibilität, über die Proptechs nicht immer verfügen. So manch ein Erlösmodell wird scheitern, sobald sich der Markt überraschend dreht. Das wiederum sind Startups gewohnt. Scheitern gehört  schließlich zum guten Ton in der Gründerszene.

Auftauen — ausprobieren — einfrieren

Methodisches Change Management basiert im Wesentlichen auf dem 3-Phasen-Modell des Psychologen Kurt Lewin aus dem Jahr 1947. In Phase eins, der so genannten Auftauphase, wächst das Bewusstsein darüber, dass die gewohnten Verhaltensweisen nicht mehr den Erwartungen entsprechen. Eingefrorene Strukturen müssen quasi erst aufgetaut werden, um sie verändern zu können. Ist das geschehen, beginnt die zweite Phase, in der Lösungen entwickelt werden und viel probiert wird, um angemessen auf die veränderte Situation reagieren zu können. In Phase drei schließlich werden die gefunden Problemlösungen wieder eingefroren und gefestigt.
In der Immobilienbranche gilt es für Viele, überhaupt erst einmal zu einer digitalen Marke zu werden. Der Wille ist erkennbar. Immer mehr Immobilienunternehmen sind Phase 1 bereits durchlaufen und kommen in Phase 2 an. Tatsächlich wird derzeit viel experimentiert und probiert, wenn auch selten mit Plan. Kaum ein Unternehmen kann eine ausgearbeitete Digitalstrategie vorweisen, einen Fahrplan, der die Veränderung in sinnvolle Stufen gliedert und vor allem machbar ist. Zu der Orientierungslosigkeit paaren sich schmerzhafte Erfahrungen. In einigen hart umkämpften Märkten liegt die Zahl der online akquirierten Aufträge inzwischen deutlich über der, der klassisch gewonnenen Aufträge. Klingt gut, aber: die meisten dieser Aufträge wurden nicht selbst gewonnen, sondern Leadportalen abgekauft. Damit entsteht weiterer Druck, weil der Kontakt immer auch an zwei Wettbewerber verkauft wird. Das ist in doppelter Hinsicht tragisch. Die eigene Marke wird geschwächt oder findet gar nicht erst statt und der Wettbewerbsdruck sorgt dafür, dass die Qualitätsstandards schlechter werden. Das Dilemma: ohne Leadportale geht es in den hart umkämpften Märkten der Metropolen auch nicht, weil die eigene digitale Kompetenz, die nötig wäre, um online Aufträge zu gewinnen, noch nicht aufgebaut werden konnte. Mit zunehmender Tendenz erkennen mittlerweile viele Immobilienunternehmen, dass die eigene Webseite der Dreh und Angelpunkt der Firma sein muss.

Niemand kommuniziert so gut an
der Presse vorbei wie Donald Trump

Der digitale Wandel hat auch die traditionelle Markenkommunikation massiv verändert. Immer öfter müssen sich die klassischen Medien auf Nachrichten oder Ereignisse beziehen, die zuerst im Internet veröffentlicht wurden und erst dann den Weg in die Hauptnachrichten finden. Während die Konkurrenz Social Media noch argwöhnisch beäugte, hat Tesla diese Kanäle von Anfang an konsequent genutzt und konnte so in äußerst kurzer Zeit zu einer international bekannten Marke heranwachsen. Durch die medienwirksamen Kampagnen konnte auch erfolgreich kaschiert werden, dass Tesla der großen Nachfrage derzeit kaum nachkommen kann. Es gelingt einfach nicht, die Elektroautos massenhaft in Serie zu produzieren. Hier haben die klassischen Marken immer noch die Nase vorn.

Marke und Social-Media-Effekte

Wie kein anderer Politiker vor ihm hat auch US-Präsident Donald Trump erkannt, welche gewaltigen Effekte mit den neuen Medien möglich sind. Dass er an der Presse vorbei kommuniziert, markiert auch einen kulturellen Wandel in der politischen Kommunikation. Die Schockwellen, die er damit produziert, sorgen dafür, dass sicher geglaubte Strukturen, Konstellationen und Allianzen aufgesprengt und so manche Karten neu gemischt werden. Das Gemaule über Twitter, Facebook oder andere soziale Medien wird nichts daran ändern. Skandal hin oder her, natürlich wird es Regeln und Grenzen geben müssen für die großen Player. Die derzeitig geführten Debatten lenken aber vor allem von den eigenen Defiziten ab. Mit drakonischen Ordnungsstrafen wird nicht verhindert werden können, dass  Facebook auch weiterhin ein Gigant bleibt und manch politischer Gegner oder Konkurrent die Mechaniken digitaler Markenbildung einfach besser verstanden haben. Wie war das mit dem Change Management? Die Phase 1 setzt bei der Erkenntnis und dem Willen an, verkrustete Strukturen aufzubrechen.

Mit Klebeband durch Phase 1

Bei Daimer hat man das ganz offenbar erkannt, wenngleich es mit der Phase 1 vielleicht etwas zu wörtlich genommen wurde.  Wie der Spiegel im Dezember letzten Jahres berichtete, sollen sich Ingenieure des Unternehmens einen Tesla geliehen haben, um ihn im Gelände und auf Schotter ausgiebig zu testen. Der 200.000 Euro teure Tesla wurde dann dem Magazin zufolge über eine Teststecke in Spanien geschickt, um die Belastbarkeit des Wagens bei hohen Geschwindigkeiten zu prüfen. Es heißt, der Tesla sei zurückgegeben worden mit verzogener Heckklappe, beschädigtem Lack und abgerissenen Verkleidungsteilen. Immerhin habe man sich noch die Mühe gemacht, die lockeren Teile mit Klebeband wieder zu befestigen.  Der Schaden: 15.000 Euro.

 

Über den Autor:

Jan Kricheldorf ist CEO der Content-Marketing-Agentur Wordliner GmbH