Neuer Bundestag, neues Koalitionsbündnis – Politische Konflikte mit Ansage

3. November 2017


Selten war ein künftiges Regierungsbündnis nach einer Bundestagswahl so unvorhersehbar wie dieses Jahr. Bewirkt durch eine Vielfalt von vielen kleinen Parteien, bekommt der Bundestag ein neues Gesicht mit viel Konfliktpotential. Wir sprechen mit dem Parteienforscher Professor Dr. Lothar Probst im AIZ-Interview über die neue politische Lage nach der Wahl.

Herr Dr. Probst, viele kleine Parteien im Bundestag — Welche Auswirkungen hat das auf die Politik in Deutschland?

Nimmt man die CSU als eigene Partei hinzu, werden sogar sieben Parteien im Bundestag vertreten sein. Das macht zum einen die Regierungsbildung noch schwieriger als früher, zum anderen nimmt die Polarität im Parteiensystem zu. Wir werden uns auf härtere Auseinandersetzungen in und außerhalb des Bundestages einstellen müssen.

Inwiefern beeinflusst das die Entscheidungsfindung und die Meinungsbildung?

Mit der AfD zieht ja eine neue Partei in den Bundestag ein, die mit provokativen Äußerungen und einer Abgrenzung von allen anderen Parteien versucht, die Meinungsbildung zu beeinflussen. Aber sie wird sich daran messen lassen müssen, ob sie sich konstruktiv am parlamentarischen Geschehen beteiligen will oder weiter nach rechts abdriftet. Wenn es zu einer stabilen und funktionsfähigen Koalition mit demokratischen Parteien aus der Mitte des politischen Spektrums kommt, wird das die Gesetzgebung und die politischen Entscheidungen des Bundestages aber kaum beeinflussen.

Weshalb gibt es derzeit so viele kleine Parteien?

In den letzten Jahrzehnten hat die Integrations- und Bindungsfähigkeit der Volksparteien stark nachgelassen. Sie haben an den Rändern verloren und zum Teil Themen verschlafen, z.B. als die Partei Die Grünen gegründet wurde. Nach der Wiedervereinigung konnte sich dann die PDS vor allem im Osten behaupten und später, als Folge der Agenda 2010 von Kanzler Gerhard Schröder, mit linken Gruppierungen im Westen erfolgreich zur Linkspartei zusammenschließen. Die AfD wiederum ist aus dem Unmut über die Eurorettungspolitik und die Flüchtlingszuwanderung entstanden, der sich in Teilen der Bevölkerung aufgestaut hatte. Früher hat die Fünfprozentsperrklausel kleinere Parteien aus dem Bundestag ferngehalten, aber jetzt erreichen sie bei Wahlen Ergebnisse zum Teil deutlich über fünf Prozent.

Wurde die SPD durch ihre Rolle als Juniorpartner sehr geschwächt?

Die SPD hat eigentlich in der Großen Koalition vieles von dem durchsetzen können, was sie sich vorgenommen hat. Trotzdem werden die Leistungen dieser Regierung und die relativ gute ökonomische Lage eher Angela Merkel und der CDU gutgeschrieben. Angela Merkel wirkt wie ein Fels in der Brandung in einem Meer von Unsicherheiten um die Bundesrepublik herum. Konflikte bereinigt sie schnell und geräuschlos und bietet dadurch der SPD wenig Angriffsfläche.

Würde das einem neuen Koalitionspartner auch so gehen?

Es heißt zwar immer, dass Angela Merkel ihre Koalitionspartner solange umarmt, bis sie ersticken, aber das ist natürlich kein politisches Gesetz. Wir wissen noch nicht, welche Regierung nach der Bundestagswahl gebildet wird, aber auf jeden Fall wird sich keine Partei, die sich an der Regierung beteiligt, unter Wert verkaufen. Mehr Konflikte, sowohl im Bundestag als auch in der nächsten Regierungskoalition, sind deshalb m.E. vorgezeichnet. In vier Jahren tritt Angela Merkel mit hoher Wahrscheinlichkeit ab. Dann werden die Karten neu gemischt und wer gestärkt aus der nächsten Wahl hervorgeht, ist eine offene Frage.

Welche Vorteile sehen Sie für die koalitionsfähigen kleinen Parteien in einem Bündnis mit den Christdemokraten?

Regierungsbeteiligung bietet für alle Parteien die Möglichkeit, politische Entscheidungen mit zu gestalten, eigene Programmpunkte durchzusetzen und über Ministerämter in bestimmten Politikbereichen eigene Akzente zu setzen. Das ist auch für kleine Parteien attraktiv, zumal sie ja der CDU/CSU bei Koalitionsverhandlungen etwas abverlangen können, wenn anders eine Regierungsbildung nicht möglich bzw. eine Große Koalition nicht gewollt ist. Die FDP hat zwar schlechte Erfahrungen in der letzten schwarz-gelben Regierung gemacht, würde aber durch eine Regierungsbeteiligung nach ihrer Rückkehr in den Bundestag aufgewertet. Die Grünen wiederum haben sich nach mehreren vergeblichen Anläufen von einer rot-grünen Regierung auf Bundesebene vorläufig verabschieden müssen. In einer Koalition mit der CDU/CSU oder mit CDU/CSU und FDP würden sie automatisch den linken Pol besetzen und könnten ihre Rolle nutzen, um aus der Regierung heraus soziale und ökologische Anliegen voranzubringen.

Wie sollten die etablierten Parteien mit der AfD im Bundestag umgehen?

Sie müssen lernen, mit Parteien wie der AfD umzugehen und ihnen argumentativ und mit demokratischen Mitteln die Stirn zu bieten. Dazu gehört auch, von der AfD zu fordern, dass sie sich von ihrem rechtsextremen Flügel trennt. Solange sie das nicht tut, verwirkt sie den Anspruch, eine normale Partei zu sein, die sich auf demokratischer Grundlage konstruktiv in die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik einbringen will.

Die Piraten haben sich durch innere Querelen selbst geschwächt. Ist die AfD stabiler und kann sich auch langfristig stark in der Parteienlandschaft halten?

Die AfD hat sich de facto schon im Parteiensystem etabliert. Sie ist bei allen Landtagswahlen seit 2014 erfolgreich gewesen, darüber hinaus bei der Europawahl und jetzt voraussichtlich auch bei der Bundestagswahl. Solch eine Serie hatten die Piraten nicht. Außerdem hat die AfD auch die Trennung vom Lucke-Flügel relativ schadlos überstanden — dank der Flüchtlingszuwanderung, die die AfD vor dem Absturz gerettet hat. Auch die inneren Querelen, die die Partei seitdem immer wieder in die Schlagzeilen gebracht haben, haben ihr nicht geschadet. Der Blick in viele europäische Nachbarländer zeigt, dass sich dort schon seit vielen Jahren rechtspopulistische Parteien in den Parlamenten behaupten. Damit müssen wir meines Erachtens auch in der Bundesrepublik rechnen.

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Politikwissenschaftler und Parteienforscher Prof. Dr. Lothar Probst