Nicht in Schockstarre treiben lassen

9. August 2017


Der digitale Wandel ist immer dann spürbar, wenn für komplexe Probleme einfache Lösungen gefunden werden. Googles Erfolg basiert auf dem Prinzip, rasend schnell, passende Antworten liefern zu können. In der Immobilienbranche geht es darum, die passenden Anbieter und Nachfrager zusammenzubringen. Axel-Springer-Vorstand Christoph Keese erklärt im AIZ-Interview die Bedeutung digitaler Medien und macht den Immobilienexperten Mut, die Digitalisierung vor allem als Chance zu begreifen. Interview von Jan Kricheldorf

AIZ: Im Zusammenhang mit der Digitalisierung werden die richtigen  Inhalte und Mehrwerte noch wichtiger. Wie wird sich das Berufsbild der Immobilienexperten in der Zukunft verändern?

Christoph Keese:  Die Immobilienwirtschaft wird sich grundlegend verändern. Dazu gehören Vermarktungsmöglichkeiten, die wir schon aus anderen Bereichen kennen, aber  auch Content-Marketing. Hinter Immobilientransaktionen stehen  langfristige Entscheidungen, die sehr gut überlegt sein wollen. Je mehr man erfährt, umso besser ist es. Die klassischen Vermarktungsformen werden nicht verdrängt aber ergänzt werden durch Marketingmethoden, bei  denen die Geschichte im Vordergrund steht.  Dadurch entsteht ein höheres Maß an Bindung, an Interesse und vielleicht sogar eine höhere Abschlusswahrscheinlichkeit.

Sie beschäftigen sich von Haus aus intensiv mit Medienwirkung. Auch die hat sich stark verändert. Was sind die stärksten Veränderungen?

Der User geht zur Information hin und oft findet ihn die Information zielgerechter, als das früher der Fall war. Er wird bei Google erreicht über Suchwort-Werbung, er wird bei Facebook erreicht durch die Timeline, die so gesteuert wird, dass nach seinen eigenen Interessen und Zielen Inhalte aufgespielt werden, die ihm ganz besonders entgegenkommen. Das erweckt potenziell sein Interesse. Und er macht sich selber auf die Suche nach Sachen, die ihn interessieren. Dadurch hat sich eine Medienwirklichkeit herausgebildet, in der jeder das, was ihn interessiert, in jeder beliebigen Tiefe und Tiefenschärfe im Internet besser finden kann als in traditionellen Medienformen. Deswegen entwickelt sich die Mediennutzung stark in Richtung digital und damit in der Folge natürlich auch die Werbewirtschaft.

Die Digitalisierung trifft Sie in der Medienlandschaft fast noch drastischer, weil Ihre Erlösmodelle direkt daran gekoppelt sind.  Was wird sich da in naher Zukunft tun? Bringen Micropayments und Abomodelle wie die von Bild Plus die Lösung?

Bei Springer sind es schon rund 400.000 Abonnenten, die diese Angebote abgeschlossen haben. Das ist beachtlich wenn man bedenkt, dass vor einem halben Jahrzehnt noch davon gesprochen wurde, dass die Leute im Internet nicht bezahlen würden und das Internet nicht verstehen. Das hat sich als falsch erwiesen. Menschen bezahlen die Sachen, die sie interessieren. Besonders, wenn das Zahlen einfach ist und das Interesse geweckt wurde. Das kann man ganz klar erkennen. Weit über die Hälfte der deutschen Zeitungsangebote haben mittlerweile Zahlangebote eingebaut. Wir sind von der Wirklichkeit eines Besseren belehrt worden.

Zum Beispiel von Netflix?

Ja, auch das sind Inhaltsangebote mit Flatrates und flexiblem Angebot. Netflix gibt kein Versprechen ab, wie viele Filme und Serien da drin stehen. Spotify gibt kein Versprechen über die Menge der Musik ab. Aber es wird versucht, das so einzusteuern, dass die nötige Menge zuschaltet. Auch das zeigt, die Menschen sind bereit, für Mehrwertdienste zu bezahlen. Es gibt gar keinen Grund, warum nicht auch für journalistische Inhalte gezahlt werden soll. Ganz im Gegenteil.
Wie kann man sich am besten auf die Digitalisierung einstellen?

Es gehört Neugier dazu. Man muss bereit sein, das Neue zu entdecken und ich persönlich sehe eine große Ausdrucksmöglichkeit. Das ist aufregend. Man gewinnt enorm viel dazu. Es gibt Sachen, von denen man vorher nur geträumt hat. Das heißt nicht, dass alles besser wird. Vieles wird auch schlechter. Das Internet ist schriller und bunter, aber man muss auch sagen, dass die besten Texte, die besten Fotos im Internet zuerst erscheinen. Jeder Geschmack findet dort etwas und das bietet uns unfassbare Ausdrucksmöglichkeiten.

Wie sehr ähneln sich der digitale Wandel der Medienwelt und jener der Immobilienbranche?

Es gibt eine ganze Reihe von Parallelen, und zwar nicht nur zwischen Medien und Immobilienwirtschaft, sondern zu allen Branchen, die digitalisiert werden. Digitalisierung verläuft nach den Gesetzen der Digitalisierung. Das ist fast schon naturgesetzlich. Und diese Naturgesetze manifestieren sich in unterschiedlichen Branchen. Mit Abstrichen, mit Einfärbung, aber vom Grundsatz her doch relativ gleich. Deswegen kann man eigentlich bei allen Branchen, die aus der traditionellen analogen Welt kommen und jetzt digitalisiert werden, erkennen, dass sich Muster herausbilden. Das bedeutet, eine digitale Branche A hat mit einer digitalen Branche B oft mehr zu tun, als die davor liegende analoge Branche A mit der anlogen Branche B.
Man kann also durch das Studieren von Beispielen aus anderen Branchen  eine Menge lernen. Man spricht da von der horizontalen Vernetzung. Horizontale Vernetzung ist ungeheuer wertvoll und sinnvoll. Wir haben uns alle in der Vergangenheit eher darauf konzentriert, uns vertikal in den jeweiligen Fachsilos miteinander zu vernetzen. Jetzt begreifen wir plötzlich, dass es horizontal ungeheuer viel zu lernen gibt. Der Ingenieur redet mit dem Biochemiker, der Biochemiker mit dem Kunstwissenschaftler, der Kunstwissenschaftler redet mit der Theologin und die Theologin redet mit dem Journalisten.

Alle haben etwas davon. Und genau das kann man auch im Wirtschaftsgeschichtlichen nachweisen. Die großen Branchen der letzten zehn Jahre sind entstanden an der Schnittstelle zwischen Wissensgebieten, die vorher nichts miteinander zu tun hatten. Da entstehen die Zukunftsbranchen.

Makler begleiten seit jeher Matching-Prozesse und sorgen dafür, dass die richtigen Leute zusammenkommen…

…deswegen haben Makler auch so gute Chancen bei der Digitalisierung…

…ist das tatsächlich so?

Ja, klar. Es wäre verfehlt, sich von Angst leiten zu lassen. Man hat alle Chancen der Welt, wenn es zu seiner Berufsqualifikation zählt, Menschen, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. Man darf sich jetzt nicht in Schockstarre treiben lassen, sondern muss aktiv handeln, muss Technologie verstehen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die meisten Disruptoren auf der Welt Branchen disruptiert haben, in denen sie vorher selber nie gearbeitet haben. Die Medienbranche ist verändert worden von Menschen, die vorher nie in den Medien gearbeitet haben. Die Automobil-Industrie wird verändert von Menschen, die vorher nie ein Auto gebaut haben. Und so zieht sich das durch. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird ein wichtiger Teil der Immobilienbranche verändert werden durch Leute, die vorher nie was mit Immobilien zu tun hatten, ja. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass diejenigen, die vorher mit Immobilien zu tun hatten, nicht auch dazugehören dürfen.
Immer auf dem neusten Stand mit AIZ – Das Immobilienmagazin als APP

[appbox googleplay com.smartexpose.aizapp]

[appbox appstore 1218286943]