Schrumpfen die Städte?

11. Juli 2023


Der aktuelle Druck auf den städtischen Wohnungsmärkten wird bestimmt von mehreren Faktoren: Zuzug, steigenden Mieten und Kaufzurückhaltung. Nach Analysen des Forschungsinstituts Empirca zeigt sich aber, dass dem Zuzug eine komplementäre Entwicklung gegenübersteht, nämlich einer größer werdenden Binnenabwanderung aus den Städten: Junge Familien wollen zunehmend aufs Land. Platzt bald der gordische Knoten und es kehrt Entspannung in den städtischen Wohnungsmärkten ein?

Von Jan Firmes

Die Nachfrage nach Immobilien war in den letzten zehn Jahren einer der großen Treiber am deutschen Immobilienmarkt. Das lag einerseits am niedrigen Zinsniveau, andererseits an der Zuwanderung, die in den vergangen rund zehn Jahren enorm gestiegen ist. Selbst nach dem Jahr 2015, das einen Peak darstellt, verzeichnete Deutschland eine Zuwanderung von 200.000 bis 500.000 Menschen jährlich. Allerdings stellt das Forschungsinstitut Empirica fest, dass 2021 der größte Teil des Bevölkerungszuwachses durch Zuwanderung bereits vorbei war.
Mit Russlands Angriffskrieg in der Ukraine stieg diese Zuwanderung erneut sprunghaft auf eine Million an. „Für das Jahr 2022 rechnen wir insgesamt mit einer Zuwanderung von 1,2 Millionen“, sagt Prof. Dr. Harald Simons von Empirica. „Für 2023 schätzen wir, dass wir nur noch die Hälfte an Zuwanderung haben werden — natürlich davon abhängig, wie sich der Krieg in der Ukraine weiter entwickeln wird. Wir gehen also davon aus, dass der Nachfrageschub in den kommenden Jahren schwächer ausfallen wird.“

Fertigstellungen von Wohnungen

Die im vergangenen Jahr leicht gestiegene Zahl der Fertigstellungen im Vergleich zu 2021 sollte laut Simons aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland in einer Baukrise steckt. Dennoch sieht Simons einen großen Bauüberhang und rechnet mit 800.000 Einheiten, die innerhalb der nächsten zehn Jahre auf den Markt kommen. Allerdings geht er davon aus, dass es 2024 und 2025 erst noch einen Rückgang der Fertigstellungen geben werde. Ein anderes Problem auf der Angebotsseite sieht Simons in den hohen Bauleistungspreisen. „Ohne dass wir über eine Qualitätsverbesserung reden, sehen wir hier einen Anstieg um 15 Prozent.“ Allerdings rechnet er nicht mit einer Fortsetzung dieser Entwicklung.

Kaufpreise

Die Vervierfachung der Zinsen auf Immobilienkredite erschwert es Kaufinteressenten, sich den Traum von den eigenen vier Wänden zu erfüllen. „Die Auswirkungen dieser Erhöhung sind drastisch“, sagt Simons, „und das nicht nur für die Käufer. Auch das Neugeschäft der Kreditinstitute hat sich innerhalb von zwei Quartalen, also vom zweiten Quartal 2022 zum vierten Quartal 2022, von 8 Prozent auf 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) halbiert. So einen Absturz gab es bisher noch nicht.“

Dementsprechend entwickeln sich auch die Kaufpreise. Empirica stellt aktuell bei der Höhe der Kaufpreise einen bundesweiten Rückgang von 5 Prozent fest, in den kreisfreien Städten fast 7 Prozent. Simons betont, dass es bei einer In-flationsrate von 7,8 oder 9 Prozent ein gewaltiger Rückgang ist.

Was folgt daraus? Für Simons stellt sich das Problem, wie unter solchen Bedingungen der Neubau realisierbar bleiben kann. Kaufpreise, Baupreise, Baulandpreise — die Simons nochmal ausdrücklich hervorhebt — und Mieten stehen für ihn in keinem vernünftigen Verhältnis mehr. „Dieses Verhältnis muss sich wieder ausbalancieren“, so der Volkswirt. „Baupreise müssen ein bisschen, Kaufpreise etwas mehr und die Baulandpreise hoffentlich noch mehr gesenkt werden. Und die Mieten müssen steigen. Der Kaufmarkt aber ist überbewertet und wird sich noch weiter anpassen müssen.“

Top-7- und Schwarmstädte

Nach seinen Untersuchungen lassen sich die Ergebnisse für die Top-7-Städte auch auf kleinere Schwarmstädte übertragen. Denn diese sind immer weniger gefragt und dieser Trend setzte bereits vor Corona ein. Seit etwa zehn Jahren wandern Menschen aus diesen Städten ab. Dieser Trend wurde nur 2015 durch die Zuwanderung und aktuell durch die Geflüchteten aus der Ukraine gebrochen. Rechnet man die Zuwanderung aus dem Ausland sowie Geflüchtete aus der Statistik heraus, so schrumpfte 2021 die Einwohnerzahl in fünf der Top-7-Städte. Düsseldorf beispielsweise hat heute 100.000 Einwohner weniger als 1961. Simons will hier zwar keine Prognose wagen, dennoch sagen ihm seine Zahlen und historische Vergleiche mit ähnlichen Konstellationen wie heute — Kaufpreise sinken, Mieten steigen, Fachkräftemangel —, dass wir vor einem mehrjährigen Prozess der Schrumpfung der Städte stehen.

Mietmarkt

Auf dem Mietmarkt wächst weiterhin der Druck — sei es durch die zugewanderten Ukrainer oder dass sich Kaufinteressenten vom Kauf- dem Mietmarkt zuwenden. Bundesweit werden moderate Anstiege bei den Angebotsmieten verzeichnet. Simons betont allerdings: „Im bundesdeutschen Mittelwert stiegen die Angebotsmieten nie stark. Starke Anstiege gab es immer nur an bestimmten Orten, eben den Metropolen oder den Schwarmstädten.“ Das habe sich aber bereits vor Corona geändert. Die Top-7- und Schwarmstädte führen hier die Mietentwicklung nicht mehr an.

Darüber hinaus sieht Simons jedoch ein Problem: Wenn die Mieten weiter steigen — wovon er ausgeht —, könnte sich die Politik gezwungen sehen, noch stärker einzugreifen. Über Mietregulierung könnte sie versuchen, die Balance zwischen Mieten und Kaufpreisen wiederherzustellen. „Je nachdem, wie weit das geht“, so Simons, „könnten wir in eine Situation kommen, in der Neubau und Investitionen in den Bestand keinen Sinn mehr machen.“

Wann könnte der Gordische Knoten durchschlagen sein?

Wie Simons mit seinen Zahlen belegt, befinden wir uns in einem echten Umbruch. Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern und der Zuzug nach Deutschland schwächer wird, wenn zudem die Immobilien fertiggestellt werden, die sich derzeit noch in der Bau- und Genehmigungsphase befinden, könnte eine Entspannung auf dem Immobilienmarkt eintreten. So weit ist es jetzt jedoch noch nicht. Auf die Frage, worauf es jetzt für Makler ankommt, sagt Simons: „Makler haben jetzt eine schwierige, aber wichtige Aufgabe: Sie müssen dafür sorgen, dass die Preisvorstellungen der Verkäufer realistisch werden. Die Nachfrageseite ist derzeit schwach. Können Verkäufer nicht dazu bewegt werden, zu einem niedrigeren Preis zu verkaufen, werden sich Immo-
bilien nur schwer verkaufen lassen.“

 

Grafik: empirica regio (Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Deutschland, 2001-2021, dl-de/by-2-0,
https://www.govdata.de/dl-de/by-2-0)