Vieles ist einfach nicht zu Ende gedacht

14. April 2022


Der Bundesrechnungshof hat die Klimaschutzmaßnahmen der Politik stark kritisiert. Die neue Ampelkoalition habe zwar mehr Tempo und weitere Maßnahmen im Klimaschutz angekündigt, die ressortübergreifende Koordinierung sei aber mangelhaft. Zudem seien viele Maßnahmen unnütz. Die AIZ sprach mit IVD-Vizepräsident Dirk Wohltorf darüber und über sein Gespräch mit der EU-Kommissarin für Energie kürzlich in Brüssel.

Interview von Heiko Senebald

AIZ: Der Rechnungshof hat mit den Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung abgerechnet. Es hagelte Kritik. Was sagen Sie dazu?

Dirk Wohltorf: Die Kritik deckt sich mit unseren Wahrnehmungen. Es steht außer Frage, dass wir beim Klimaschutz vorankommen müssen. Die Immobilienwirtschaft muss und will auch ihren Beitrag leisten. Aber viele Vorhaben sind einfach nicht zu Ende gedacht. Andere Maßnahmen, die besonders wichtig wären, wurden noch gar nicht mitgedacht. Das ist so, als würde die Politik den Turbo einlegen, obwohl sie vergessen hat, den Motor einzubauen.

Was fehlt Ihnen denn beim Klimaschutz?

Es gibt zum Beispiel wahnsinnig viele Fragezeichen, was die Sanierung des Gebäudebestands betrifft. In Europa ist der Gebäudebereich für etwa 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Er ist somit der größte europäische Energieverbraucher und der wichtigste Sektor auf dem Weg, Europa fit für 2050 zu machen. Mehr als 85 Prozent der heutigen Gebäude in der EU werden auch noch 2050 stehen, dem Jahr, ab dem Europa klimaneutral sein möchte.

Drei Viertel dieser Gebäude sind aktuell nicht „klima-fit“. Doch lediglich ein Prozent aller Gebäude in der EU wird pro Jahr energetisch saniert. Bei diesem Tempo werden bis zum Jahr 2050 gerade mal weitere 28 Prozent des Gebäudebestands energetisch saniert sein.

 

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Eule

Sie waren kürzlich in Brüssel und haben mit der EU-Kommissarin für Energie, Kadri Simson, gesprochen. Was haben Sie ihr gesagt?

Ich habe sie auf die ambitionierten Ziele im Klimaschutz und die Probleme bei der Umsetzung in der Praxis hingewiesen und darauf aufmerksam gemacht, dass der Wille der Eigentümer zur Sanierung zwar besteht, es aber oft an den finanziellen Mitteln fehlt, insbesondere bei den selbstnutzten Eigentümern. Viele Immobilien-Eigentümer wohnen zwar in abbezahlten Häusern, haben aber nicht die finanzielle Möglichkeit, viele zehntausend Euro zu investieren.

Wie könnte denn eine Lösung aussehen?

Es müssen mehr Förderprogramme aufgesetzt werden für diejenigen, die nicht darlehensfähig sind. Die KfW ist eine Bank, die Tilgungszuschüsse und niedrige Zinsen gewährt. Das ist gut. Aber diese kommen ja nur denjenigen zugute, die überhaupt ein Darlehen bekommen. Wer kein Darlehen bekommt, kann demnach auch nichts für den Klimaschutz tun. Und das ist im Bestand vielleicht sogar die Mehrheit.

Ein Dorn im Auge ist Ihnen schon lange die Spirale der Grunderwerbsteuer, die sich seit Jahren in den Ländern immer weiterdreht. Sie könnte aus Ihrer Sicht gut für die Sanierung des Bestandes genutzt werden. Wie denn genau?

In Deutschland gibt es rund 19 Millionen Wohngebäude, davon sind 16 Millionen Ein- oder Zweifamilienhäuser. Bei den Ein- und Zweifamilienhäusern ist die  Sanierungsquote besonders niedrig. Eine Chance, das zu ändern, bietet sich beim Eigentümerwechsel. Die privaten Käufer haben in den meisten Fällen ihr privates Budget bereits aufgebraucht. Sie können das erworbene Objekt also nicht zusätzlich energieeffizient umbauen. Hier könnte der Staat ansetzen und unterstützen.

Eine energetische Sanierung könnte von dem Geld finanziert werden, das bei der Grunderwerbsteuer gespart wird. Eine Beispielrechnung: Für den Käufer eines 400.000 Euro teuren Einfamilienhauses in NRW würde das bedeuten, dass er bei einer vollständig eingesparten Grunderwerbsteuer — in NRW sind das 6,5 Prozent des Kaufpreises — 26.000 Euro für eine energetische Sanierung zur Verfügung hätte. Damit kann man schon einmal die Heizung und einige Fenster austauschen. Obwohl das momentan auch ziemlich schwierig ist.

Wie meinen Sie das?

Es fehlt derzeit an allen Ecken und Kanten an Handwerkern und Material. Laut einer Umfrage des ifo-Instituts stieg der Anteil der Betriebe im Hochbau, die unter Fachkräftemangel leiden, im Oktober 2021 auf über 34 Prozent. Dieser Prozentsatz dürfte sich mittlerweile noch weiter erhöht haben. Außerdem kämpft die Baubranche mit einem gravierenden Materialmangel. Wenn doch Material verfügbar ist, müssen enorme Preise bezahlt werden. Besonders betroffen von den höheren Kosten bei den baurelevanten Komponenten waren Stahl, Bitumen, Holz, Kupfer und Bau-Chemie. So lagen die Erzeugerpreise für Betonstahl in Stäben im Jahresdurchschnitt um 53 Prozent über dem Niveau von 2020. Der Preis für Bauholz legte sogar um 61 Prozent zu. Das sind Zahlen aus Dezember 2021. So war die Lage schon vor dem Ukraine-Krieg. Die Situation hat sich mittlerweile dramatisch verschärft.

Was kann man dagegen tun?

Ich habe der EU-Kommissarin vier wichtige Botschaften übermittelt. Wir brauchen eine Fachkräfte-Offensive in der Bauwirtschaft. Lieferengpässe müssen beseitigt werden, zum Beispiel damit, dass der heimische Holzmarkt nicht von China und den USA leergekauft werde darf. Der Strom für Endverbraucher muss günstiger werden. Und es müssen Förderprogramme für alle Alters- und Einkommensgruppen geben. Nur so kann der Kampf gegen den Klimawandel gewonnen werden.

 

Foto: © Dirk Wohltorf