Wenn Überautomatisierung zur Last wird

29. November 2023


Eine gute Prozessoptimierung und Automatisierung können dazu führen, mit wenig Personal mehr zu leisten. Allerdings nur dann, wenn die angelegten Prozesse auch wirklich Zeit freischaufeln und Arbeit abnehmen. Andernfalls kann eine Automatisierung auch zum Hindernis werden. Vor allem dann, wenn nicht mehr hinterfragt wird, wozu sie eigentlich dienen soll. Einmal installierte Prozesse sind nicht für die Ewigkeit konzipiert, sondern müssen permanent auf Aktualität hinterfragt werden. Eine so prägende Marktveränderung wie der Zinsschock letztes Jahr hat großen Einfluss auf die digitalen Marketingprozesse von Maklerunternehmen.

Von Jan Kricheldorf

Im Verteilermarkt war es beispielsweise bei der Vermarktung von Immobilien notwendig geworden, diejenigen Interessenten herauszufiltern, die bereit waren, einen höheren Preis zu zahlen als angeboten. Diese Aufgabe war — bei bis zu 100 Anfragen auf eine Immobilie — manuell und analog kaum noch möglich. Digital aber konnte man über verschiedene Tools den Vermarktungsprozess so anpassen, dass die Interessenten durch einen sogenannten Trichter laufen mussten, bevor sie sich für eine Besichtigung qualifiziert hatten. Dieser Trichter konnte zum Beispiel darin bestehen, dass die Kontaktdaten vollständig zu ergänzen waren oder es zumindest nahegelegt wurde, um günstige Voraussetzungen zu schaffen, die gewünschte Immobilie erwerben zu können.

Auf diese Weise konnte man annehmen, dass diejenigen, die sich diese Mühe gemacht haben, auch wirklich am Erwerb interessiert waren, während Interessenten, die nicht dazu bereit waren, die Immobilienanfrage offenbar weniger wichtig war als den anderen. Dadurch konnte die Anzahl der Interessenten deutlich gesenkt werden und der Makler sparte Zeit ein, die er für die Akquise neuer Objekte einsetzen konnte.

Störungen des Prozessablaufs sind leicht messbar

Im Käufermarkt hingegen wird sich so ein Prozess verkaufsverhindernd auswirken. Zwar sind vollständige Kontaktdaten ein anzustrebendes Ziel. Fraglich ist aber, ob die zusätzlichen Hürden, die ein Interessent dafür in Kauf nehmen muss, nicht als zu großes Hindernis angesehen werden, wenn anders als im Verteilermarkt mehr Konkurrenzangebote verfügbar sind. Bei digitalen Prozessen sind Störungen des Prozessablaufs sehr einfach messbar. Dazu werden lediglich zwei Messpunkte benötigt, nämlich die Zahl der Aufrufe eines digitalen Kurzexposés und die Zahl der abgeschickten Formulare für ein vollständiges Formular. Aus dem Verhältnis beider Werte ergibt sich die so genannte Conversion Rate. Typischerweise sollte sie bei circa fünf Prozent liegen. Sinkt die Quote — etwa beeinflusst durch Marktveränderungen —, dann ist es höchste Zeit aufzuspüren, was den Anfrageprozesse blockiert.

Als ich kürzlich selbst auf Immobiliensuche war, stieß ich auf einen Anbieter, dessen Vermarktungsprozess noch darauf ausgerichtet war, Interessenten abzuwimmeln. Jedenfalls stellte sich die Exposé-Vergabe so kompliziert dar, dass ich schließlich aufgab. Um an das vollständige Exposé heranzukommen, war zunächst nur die Angabe einer E-Mail-Adresse nötig. Das fühlte sich noch einfach an. Danach allerdings wurde ich aufgefordert, mich beim Anbieter zu registrieren. Das empfand ich bereits als übergriffig. Bei der Vielzahl an Accounts, die man bereits angelegt hat, weitere Login-Daten zu erstellen, nur um an ein Immobilienexposé zu kommen, das erschien mir unverhältnismäßig zu sein.

Auf digitalen Umwegen zum Exposé

Warum auch ein Login? Eine Erklärung dazu gab es nicht und genau diese Tatsache machte mich skeptisch. Was sollte die Registrierung denn bringen? Aber gut, ich war bereit, diesen Schritt einmal mitzugehen. Doch damit war es nicht getan. Um die Registrierung durchzuführen, öffnete ich mein Postfach, um die verwendete E-Mail-Adresse zu bestätigen. Damit war das Double-Optin-Verfahren für den Anbieter durchgeführt. In der Registrierungsmail fand ich einen Link, der mich auf die Webseite zurückführte. Ich dachte: Gut, wenn jetzt das Angebot direkt kommt, geht das in Ordnung. Ich wurde enttäuscht. Denn anstatt das Exposé ansehen zu dürfen, wurde ich nun aufgefordert, meine Kontaktdaten zu ergänzen. Ohne vollständige Daten dürfte man das Angebot nicht verschicken. Ich hoffte, wenn ich die verlangten Informationen gebe, würde ich direkt weitergeleitet. Also schrieb ich irgendwelche Namen und Adressen in das Eingabefeld und drückte auf den Button.
Doch wieder wurde ich enttäuscht. Ich solle noch einmal in mein Postfach gehen, wo der Link zum Exposé hinterlegt würde. Als Interessent war ich gedanklich längst weg, aus fachlichem Interesse tat ich aber, wie mir aufgetragen wurde. Tatsächlich war eine Mail eingegangen und dort ein Link zum Exposé hinterlegt. Zu meiner Überraschung aber handelte es sich nicht um ein interaktives Exposé, sondern es wurde heruntergeladen und im Download-Ordner meines Rechners abgelegt. Wow! Ich hatte es geschafft.

Übertriebene Workflows sind ein No-Go im Digitalzeitalter

Sie können sich vorstellen, dass so ein langer Workflow nicht nur meine Geduld auf die Probe gestellt hätte, sondern die vieler anderer Interessenten auch. Ein No-Go im Digitalzeitalter. Natürlich verstehe ich, dass aus Angst vor Abmahnungen oder Provisionsstreitigkeiten Prozesse erstellt werden, die Ausfallrisiken verringern sollen. Trotz allem muss bei Prozessoptimierungen immer abgewogen werden, ob der Nutzen, den ein automatisierter Prozess bringen soll, wirklich einen messbaren Vorteil bringt. Registrierungen werden allgemein als Last empfunden. Für eine gute Benutzerfreundlichkeit gilt es sie zu vermeiden. Vor allem, wenn erkannt wird, dass die angesprochene Zielgruppe übertriebene Workflows nicht akzeptiert, müssen dringend Anpassungen vorgenommen werden. Die Frage ist, ob der Anbieter seine Überoptimierung überhaupt feststellen konnte oder ob die zurückgegangenen Anfragen mit anderen Faktoren in Verbindung gebracht worden sind.

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