„Wer in Klimaschutz investiert, hat eine wertvollere Immobilie“

9. Juni 2023


Christina-Johanne Schröder, Jahrgang 1983, ist Sozialwissenschaftlerin. Bevor sie 2021 in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, arbeitete sie als Referentin für Wohnen & Bauen für Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag. Erstmalig in dieser Wahlperiode spricht die Abgeordnete aus der Wesermarsch für die grüne Bundestagsfraktion zu den Themen Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen.

Interview von Stephen Paul

AIZ: Sie sind Sprecherin Ihrer Fraktion fürs Bauen und Wohnen. Was hat Sie bewogen, sich um diese Aufgabe zu kümmern?

Schröder: Bevor ich in den Bundestag gewählt wurde, habe ich als Referentin für Wohnen und Bauen im Niedersächsischen Landtag gearbeitet. Für mich ist meine Aufgabe in der Bundestagsfraktion die logische Fortführung. Stadtentwicklung und Kommunen liegen ebenfalls in meiner Verantwortung.

Hand aufs Herz: Für wie realistisch halten Sie das Ziel, 400.000 Wohnungen jährlich zu bauen? Selbst die Bauministerin spricht nur noch davon, sich dieser Zahl annähern zu wollen.

Als Koalition wollen wir die Rahmenbedingungen herstellen, dass zum Ende der Legislaturperiode wieder 400.000 Wohnungen im Jahr geschaffen werden. Aufgrund der Zinsentwicklung, hohen Bodenpreisen, Materialkosten, Klimakatastrophe und Wohnortwünsche gehenwir davon aus, dass Umnutzung, Aufstocken und Umbauen eine wesentliche Rolle dabei spielen werden.

In Wirklichkeit geht die Zahl der Baugenehmigungen und der fertiggestellten Wohneinheiten immer weiter zurück. Die Verunsicherung durch neue, noch schärfere energetische Anforderungen beschleunigen die Talfahrt.

Es gibt einen Bauüberhang von fast 900.000 noch nicht fertig gestellter Wohneinheiten. Für den Rückgang der Genehmigungen sehe ich als Hauptgrund die massiv gestiegenen Zinsen. Wissenschaftlich lässt sich nur ein schwacher Zusammenhang zwischen gesetzlichen energetischen Standards und Baukostensteigerungen feststellen. Anders sieht es bei der Zunahme an Normen aus, die der Wirtschaft entstammen. Nicht falsch verstehen, Normungen haben eine wichtige Rolle — im Bau gibt es aber viele, die ohne Steigerung der Wohnqualität und Sicherheit das Bauen verteuern.

Das Gebäudeenergiegesetz und die geplante EU-Gebäuderichtlinie lösen umfassende Sanierungspflichten für Eigentümer aus. Haben Sie Verständnis für die Menschen, die sich überfordert oder gar enteignet fühlen?

Überforderung kann ich verstehen. Das Gefühl der Enteignung hat aber ebenfalls mit Fakenews zu tun, die zuerst aus dem AfD-Milieu kamen und dann insbesondere von der BILD übernommen wurden. Bei der EU-Gebäuderichtlinie geht es mitnichten um Komplettsanierungen, sondern um kleine Maßnahmen bei den schlechtesten Häusern, die sich innerhalb von ganz wenigen Jahren amortisieren.

Niemand wird enteignet — aber wer nach und nach in die Energieeffizienz investiert, hat eine wertvollere Immobilie und spart Geld. Bei dem Gebäudeenergiegesetz geht es darum, sich langsam von der fossilen Wärmeenergie zu verabschieden. Fossile Energie ist teuer und wird noch teurer.

Aber die Verteuerung fossiler Energien ist doch politikgemacht …

Die Verteuerung der fossilen Energien mit all ihren negativen Folgen mussten wir erleben, weil Putin die Ukraine angegriffen hat, weil wir als Industrienation abhängig von Diktatoren sind, weil fossile Energie endlich ist und die Freiheit unserer Kinder und Enkel massiv einschränkt.

Als Grüne müsste Sie doch stören, dass energetische Anforderungen an Gebäude als ein Hauptgrund gelten, weswegen Mieten steigen oder sich Normalverdiener kein Wohneigentum mehr leisten können. Was tun Sie dafür, dass der Klimaschutz nicht der Buhmann bleibt?

Der Mieterbund ist für ambitionierten Klimaschutz in Gebäuden. Das hat auch einen guten Grund: Preissteigerungen werden verursacht durch explodierende Bodenpreise, statt Wohngemeinnützigkeit gibt es jenseits des sozialen Wohnungsbaus ausschließlich Rendite- und Gewinninteressen, statt weniger Baustoffe und Technik zu nutzen, braucht es davon immer mehr. Grund dafür sind über 3.500 Normen im Bauwesen, die sich teilweise widersprechen. Natürlich sind die hohen Zinsen Mitverursacher für die Kostenexplosion. Die gesetzlichen Vorgaben für mehr Energieeffizienz
haben nur verhältnismäßig geringe Kostensteigerungen verursacht und dafür spart man Energiekosten.

Allein der Einbau einer Wärmepumpe, die Dämmung und neue Fenster kosten einen mittleren fünfstelligen Geldbetrag. Viele Leute bekommen dafür
keinen Kredit von ihrer Bank.

Heizungen gehen ja nicht durch ein Gesetz kaputt, sondern müssen einfach mal ausgetauscht werden. Ziel des Gesetzes ist es, dass wir 2045 keine fossilen Heizungen haben. Grundsätzlich ist im GEG jede Heizlösung erlaubt, die auf die 65 Prozent Erneuerbare Wärme kommt. Die meisten modernen Heizlösungen lassen sich für die meisten Häuser in Deutschland ohne umfassende Sanierung installieren. Mit dem Gesetz für kommunale Wärmeplanung stärken wir zudem Nah- und Fernwärmenetze. Je mehr Player auf dem Markt sind, desto günstiger werden die Preise. In Frankreich kostet eine Wärmepumpe so viel wie eine Gastherme. Übrigens reden wir auch nur so viel über Wärmepumpen, weil die Technologie so effizient ist.

Die Förderung vom Bund ist umfassend. Es wird auch Kreditlösungen geben, weil es sich lohnt. Im letzten Jahr haben wir mit unfassbaren 200 Milliarden Euro in den Markt eingegriffen, obwohl der Gebäudesektor aktuell nicht im Emissionshandel eingebunden ist. Das wird sich nun ändern. Fossile Energien werden sich enorm verteuern.

In Ihrer Region leben die meisten Menschen im Ein- oder Zweifamilienhaus. Halten auch Sie diese Wohnform, wie viele ihrer Parteifreunde, für einen Klimakiller?

Niemand in meiner Partei hat das je behauptet. Die Kampagne startete zunächst im rechten und radikalen Milieu, nachdem Sätze von Anton Hofreiter bewusst fehlerhaft wiedergegeben wurden. Teile der Konservativen und des Boulevards haben diese Lügen übernommen. Mich sorgt, dass demokratiefeindliche Kräfte einen so starken Einfluss auf seriöse Medien haben.

Aber im „Bauwende“-Beschluss Ihrer Partei im Jahr 2019 ist doch eine quasi Absage ans Einfamilienhaus enthalten, oder?

Nein, es gibt viel Liebe für Einfamilienhäuser. Deswegen ist es so wichtig, die vorhandenen zu sanieren und zu erhalten. Neubau wird keine so große Rolle mehr spielen, weil Platz und Ressourcen endlich sind und es bereits einen großen Bestand gibt. Ein Überangebot wäre für jeden Häuslebesitzer fatal, weil der Wert dann fällt. Im nächsten Jahrzehnt werden alleine aus demografischen Gründen viele Einfamilienhäuser den Besitzer wechseln.

Halten Sie es als Fachpolitikerin für gut, dass die Förderung des Neubaus bei Bauministerin Geywitz und die Sanierung der Bestände bei Klimaschutzminister Habeck ressortiert?

Ich halte viel von Ministerin Geywitz, die endlich das Politikfeld Wohnen und Bauen aus der hintersten Ecke des
Innenministeriums befreit hat. Leider fehlt es ihr an der Rückendeckung aus dem Kanzleramt. Die Klimaziele haben Ministerin Geywitz und Minister Habeck in geteilter Federführung gut im Blick — dabei ist es egal, ob es um Sanierung oder Neubau geht.

Sie haben Ihre pflegebedürftige Großmutter gemeinsam mit der Familie bei sich zu Hause über Jahre gepflegt. Wie hat sich dadurch Ihr Blick auf altersgerechtes und barrierearmes Wohnen verändert?

Viele meiner Freunde, die ein älteres Häuschen saniert oder neu gebaut haben, sind vermutlich ein bisschen genervt von mir. Es macht Sinn, mindestens im unteren Geschoss Türen breit zu bauen und ein Bad so groß, dass man mit einem Rollator in die Dusche gelangen kann. Haltegriffe in Bad und Fluren oder ein erhöhter Toilettensitz sind schnell montiert, Grundrisse zu ändern ist teuer. Denkt man von Anfang an Barrierearmut mit, ist das Eigentum wertstabiler. In Bebauungsplänen sollten die Stadt-und Gemeinderäte Barrierefreiheit und Barrierearmut noch stärker berücksichtigen.

Foto: © Christina-Johanne Schröder