„Wir fahren immer noch auf Sicht.“

21. Januar 2021


Auch für die Sachverständigen hat die Corona-Krise einige Veränderungen gebracht. Christian Gorber, Vorsitzender des IVD-Bundesfachausschusses Sachverständige und von der IHK Bodensee-Oberschwaben öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger, berichtet im AIZ-Interview, was sich für die Sachverständigen in diesem Jahr geändert hat und was er für 2021 erwartet.

Interview von Adrian M. Darr

Wie haben Sie das Jahr 2020 überstanden?

Persönlich sind meine Familie und ich gut und vor allem gesund durch das Jahr 2020 gekommen. Als ehrenamtlicher Katastrophenschützer beschäftige ich mich gerade mit der Planung und Umsetzung eines Impfzentrums auf dem Friedrichshafener Messegelände. Da sich das alles nicht nur abends und an den Wochenenden bewerkstelligen lässt, hat das auch die beruflichen Abläufe beeinflusst. Wirtschaftlich kann ich aber ein gutes Jahr bilanzieren. Die Auftragslage blieb unterm Strich von Corona unbeeindruckt und die Auftragsbücher sind bis weit ins kommende Jahr gefüllt.

Wie ging es Ihren Sachverständigen-Kollegen?

Anfangs, als Deutschland in den ersten Lockdown ging, gab es im Kollegenkreis mitunter Befürchtungen, dass unsere Branche nun auch stark betroffen sein würde, etwa, weil man keine Ortstermine mehr durchführen könne und weil Behörden geschlossen seien.  Es hat sich dann aber bald gezeigt, dass diese Sorgen überwiegend unbegründet waren. Häufig konnten in dieser Zeit bereits ausrecherchierte Bewertungen fertiggestellt werden und andere, unter den gegebenen Umständen seriös durchführbare Aufträge vorgezogen werden. Ich selbst habe in dieser Zeit etwa erst einmal unbebaute Grundstücke, leerstehende Objekte oder auch nur von einem Hausstand bewohnte Immobilien bewertet — selbstverständlich immer nach vorheriger Absprache mit den Bewohnern und unter Beachtung der Hygieneregeln. Die Rückmeldungen, die ich aus dem Kollegenkreis bekommen habe, decken sich weitestgehend mit meinen eigenen Erfahrungen.

Was hat sich für Sie, für Ihre Arbeitsweise, in diesem Jahr geändert?

Spannend war im Jahresverlauf die Frage nach dem Umgang mit Corona in der Bewertung. Der Druck war vor allem am Anfang hoch und es bestand in der Öffentlichkeit und der Presse die Erwartung, man könne darauf eine einfache und möglichst allgemeingültige Antwort, etwa in Form eines „Corona-Faktors“ finden. Wir haben die Lage im Kreise der Mitglieder des Bundesfachausschusses laufend beobachtet, diskutiert und analysiert. Heute wissen wir, dass die Werte von Wohnimmobilien bislang eigentlich ziemlich unbeeindruckt blieben beziehungsweise im zweiten Halbjahr sogar weitere Zuwächse erfahren haben. Das war anfangs noch nicht so klar, wie es sich heute zeigt. Es hat sich aber als richtig erwiesen, dass wir uns hier als Verband nicht zu pauschalen Aussagen haben hinreißen lassen, sondern von Anfang die Auffassung vertreten haben, dass man das differenziert betrachten muss.

Nach wie vor kompliziert ist das Thema Corona bei der Bewertung anderer Assetklassen, etwa im Bereich Hotellerie/Gastronomie oder bei Spezialimmobilien aus dem Freizeitbereich. Offen ist auch, ob, und falls ja, wie sich das Thema Homeoffice längerfristig auf den Büroimmobilienmarkt auswirkt. Angesichts einer nach wie vor kargen Datenlage fahren wir in der Abschätzung der Auswirkungen der Pandemie auf die jeweiligen Teilmärkte immer noch auf Sicht und können eigentlich nur Annahmen treffen, die wir versuchen, so fundiert wie möglich nachvollziehbar zu begründen. Ich bin nun über 25 Jahre in der Immobilienbranche tätig, kann mich aber an keine Situation erinnern, die so schnell und so dynamisch Einfluss auf den Markt genommen hat. Infektionsschutz, Hygienekonzepte und je nach Größe der Unternehmen auch Homeoffice-Lösungen haben Einzug in die Sachverständigenbüros gehalten. In meinem Büro haben wir beispielsweise in Raumlufttechnik investiert und einiges ummöbliert, um Besprechungen coronagerecht durchführen zu können. Auch haben wir Prozesse angepasst und Arbeitsmittel ergänzt, um enge Kontakte zu vermeiden.

Mussten Sie auch digitaler werden?

Digitalisierung war schon vor Corona ein Trend. Die Pandemie hat in manchen Bereichen aber vielleicht als Katalysator gewirkt. So haben etwa Videokonferenzen unter den Mitgliedern des Bundesfachausschusses es ermöglicht, dass wir uns wesentlich häufiger beraten konnten als in der Vor-Corona-Zeit, wo wir uns in der Regel physisch getroffen haben. In anderen Bereichen, etwa im elektronischen Verkehr mit den Justizbehörden oder mit Ämtern, gibt es dagegen nach wie vor noch Optimierungspotenzial.

Was erwarten Sie für das Jahr 2021?

Die Halbwertszeit von Prognosen hat sich in der dynamischen Corona-Situation als äußerst kurz erwiesen, weswegen ich gerne darauf verzichten würde, einen Blick in die Glaskugel zu werfen. Ich erhoffe mir von 2021 aber, dass wir zeitnah eine Zulassung von Impfstoffen bekommen, keine gravierenden Nebenwirkungen sehen und bis Mitte des Jahres gut mit den Impfungen vorankommen, sodass es im Zusammenwirken mit den höheren Temperaturen vielleicht gelingt, allmählich zu so etwas Ähnlichem wie einer gefühlten Normalität und zu einer Entspannung der Lage zurückkehren zu können. Und ich hoffe, dass wir nicht von einer Insolvenzwelle überrollt werden, sondern dass es möglichst viele Unternehmen schaffen, durch die schwere Zeit zu kommen. Wenn sich diese Hoffnungen erfüllen, glaube ich, dass wir auch wieder mit etwas Optimismus in die Zukunft blicken dürfen, auch wenn die Herausforderungen, die uns wohl noch bevorstehen werden und die langfristigen wirtschaftlichen Folgen, nicht unterschätzt werden dürfen. Ich bleibe aber dabei, dass ich in dieser Situation in keinem anderen Land der Welt leben wollte als in Deutschland und dass ich denke, dass auch die Anlage in Immobilien in Deutschland trotz allem, was uns umtreibt, nach wie vor sicherer ist als in vielen anderen Ländern der Erde.