Wo ein G ein C sein kann

16. August 2023


Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung, die einen globalen Ansatz verlangt. Solange dieser nicht in Sicht ist, leistet jede Nation oder jeder Staatenzusammenschluss seinen Beitrag, so auch die Europäische Union. Diese ist bemüht, einheitliche Maßstäbe zu setzen, so etwa gerade mit dem Programm Fit-for-55. Schaut man sich den Gebäudebereich an, zeigt sich ein jedoch höchst uneinheitliches Bild.

Von Dr. Christian Osthus

Dieses Bild zeigt sich auch an den Energieeffizienzklassen, die auf nationaler Ebene nach den dortigen Regeln ausgerichtet werden, was ihre Vergleichbarkeit in Teilen erschwert, weil schon die klimatischen Gegebenheiten unterschiedlich sind. Ein Vergleich der Energieeffizienzklassen ist aber denn grundsätzlich möglich, soweit man diesen am Energiebedarf in Kilowattstunden je Quadratmeter Wohnfläche vornimmt. Die Verteilung der Spannen je Energieeffizienzklasse wird offenbar anhand des jeweiligen Gebäudebestandes vorgenommen. Die guten Gebäude werden im Bereich A und B eingeordnet, die schlechten eher in G und H, der Rest dazwischen. (s. Abb. S. 15)

Gebäude, die in den Niederlanden der Energieeffizienzklasse C entsprechen, sind in Deutschland ein G, was der zweitschlechtesten Klasse entspricht. Ein Gebäude in Frankreich, das in der schon sehr guten Klasse B eingeordnet ist, würde wenige Kilometer weiter in Deutschland nur ein D erreichen. Dass Italien und Deutschland insoweit näher zusammenliegen, ist offenbar dem Umstand geschuldet, dass es in Italien im Durchschnitt wärmer ist, also weniger Energie zum Heizen über das gesamte Jahr benötigt wird. Diese Unterschiede sind der Bevölkerung letztlich kaum vermittelbar.

Vorreiter bei energetischer Sanierung werden benachteiligt

Die EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) befindet sich derzeit im sogenannten Trilog-Verfahren. Diese beinhaltet, dass die 15 Prozent des Wohngebäudebestands mit der schlechtesten Energieeffizienz bis 2030 mindestens die in jedem Land jeweils neu zu definierende Effizienzklasse E und bis 2033 die Klasse D erreichen müssen. Hier liegt der Gedanke nah, dass Deutschland benachteiligt wird, denn der Gebäudebestand in Deutschland ist deutlich besser als in vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten. Da Deutschland im Vergleich zu anderen viele seiner Hausaufgaben bereits gemacht hat, sollte es für sich in Anspruch nehmen, das eigene Sanierungstempo zu drosseln, ohne dabei das Ziel der Klimaneutralität aus den Augen zu verlieren. Zudem sollte es erreichen, dass im Zuge der Umsetzung der EPBD keine Sanierungspflichten auf der Ebene einzelner Gebäude entstehen, sondern nur als Mittelwert von Gebäudegruppen, beispielsweise als Mittelwert aller Gebäude eines Quartiers. Aus dem Bundesbauministerium gab es insoweit schon Vorschläge, die in diese Richtung gehen.

Viele Eigentümer und Mieter fühlen sich nicht mitgenommen

Insgesamt würde dies den Eigentümern und Mietern sowie den Engpässen an Arbeitsleistung und Material enorm entgegenkommen. Dass dieses Entgegenkommen dringend erforderlich ist, zeigt auch die aktuelle Diskussion um das Gebäudeenergiegesetz. Viele Eigentümer und Mieter fühlen sich nicht mitgenommen, was sicherlich auch an den Förderprogrammen liegt, die zu schlecht ausgestattet und zudem noch zu kompliziert sind. Statt aufwändiger Antragsformulare der KfW sollte eine einfache Abzugsfähigkeit bei der Einkommensteuer geschaffen werden. Viel wichtiger ist aber, dass mehr Maßnahmen förderfähig sind. Es gibt bereits sehr viele niedrigschwellige Maßnahmen, mit denen man enorme Einsparungen erzielen kann. Förderfähig ist aber nur das, was über dem gesetzlichen Mindeststandard liegt, der in den letzten Jahren kontinuierlich angehoben wurde und in Deutschland im Vergleich zum EU-Ausland oft viel höher ist.

Baustandards von Realität entkoppelt?

Deutschland muss sich die Frage stellen, ob die eigenen Neubaustandards und die angestrebten Sanierungsstandards im Bestand nicht viel zu hoch sind. Bei einem gut sanierten Gebäudebestand wie in Deutschland werden die Klimaziele überwiegend durch den Einsatz erneuerbarer Energien beim Heizen, nicht durch immer weitere Dämmung des Gebäudes erreicht. Im Neubau erscheint die geplante Vorgabe von EH-40 ab 2024 im Neubau übertrieben. In den Niederlanden begnügt man sich auch im Neubau mit weniger. Dort erreicht man die Energieeffizienzklasse A+, wenn man unter einem Bedarf von 150 kWh/m2a bleibt. In Deutschland entspricht dieser Bedarf der Klasse E. Den Gebäudeeigentümern muss deshalb deutlich mehr Spielraum eingeräumt werden, ob sie Klimaziele durch Dämmung oder den Einsatz erneuerbarer Energien erreichen wollen.

Die im Verhältnis schlechteren Energieeffizienzklassen beispielsweise in den Niederlanden zeigen auch, dass man dort offenbar plant, die Klimaziele mit deutlich kostengünstigeren Gebäuden zu erreichen. Dort kostet der Quadratmeter im Geschosswohnungsbau etwa 20 bis 60 Prozent weniger als in Deutschland. Nach aktuellen Angaben der ARGE Kiel liegen die Kosten hierzulande im Mittel bei 4.200 Euro.

Der europäische Vergleich sollte zumindest dazu führen, dass Deutschland sein eigenes Tempo reduziert und bei der sicherlich notwendigen Wärmewende vielmehr darauf achtet, seine Bevölkerung und Wirtschaft mitzunehmen, statt ihnen Belastungen zuzumuten, die deutlich über die in anderen Ländern hinausgehen.

 

Bildnachweis: Osthus