Wohnung mit Huhn zu vermieten

30. Juli 2019


Im Hessischen Hanau startete Ende Mai ein ungewöhnliches Wohnprojekt. Auf einer bisher ungenutzten Fläche hat das kommunale Unternehmen Unterschlupf für tierische Mieter geschaffen: Drei Hühnerställe werden seit mittlerweile fast zwei Monaten von den Mietern bewirtschaftet. Das Projekt, das viele zunächst für einen PR-Gag hielten, fand bei den Mietern guten Anklang und soll bald auf weitere Wohnanlagen ausgeweitet werden.

Von Johanna Böhnke, AIZ-Redakteurin

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Das Projekt klingt nur im ersten Moment verrückt. Wer sich näher damit beschäftigt, versteht schnell, warum die Bau­gesellschaft es nicht nur als fixe Idee abgetan, sondern tat­sächlich in die Tat umgesetzt hat. „Die Idee zum Projekt kam unserem Geschäfts­führer Jens Gottwald im Zusammen­hang mit dem Thema Müll­reduktion und der Frage, was wir gemein­sam mit unseren Mietern ver­bessern können“, erklärt Lisa Ruck, Assis­tentin der Geschäfts­leitung. „Da Hühner bekannter­maßen viel Bio­müll wie Kartoffel­schalen und Salat fressen, haben wir den Gedanken weiter verfolgt. Neben der Bio­müll­reduktion bringt die Hühner­haltung viele weitere Vor­teile mit sich: man leistet einen Beitrag gegen Massen­tierhaltung, der Mieter weiß, was seine Hühner fressen und dass er hoch­wertige Eier bekommt sowie Transport­wege und Verpackungs­materialien ein­spart. Hühner­mist ist außer­dem ein hervor­ragender Dünger und kann somit weiter­verwertet werden. Außerdem erleben „Stadt­kinder“ die Hühner aus der Nähe und lernen, wo die Eier her­kommen. Sie lernen Verant­wortung zu über­nehmen und auf die Bedürf­nisse anderer Lebe­wesen einzugehen. Die Hühner­haltung stärkt die Gemein­schaft und wirkt gegen Verein­samung.“

Die Hühner haben sich mittler­weile gut in der Wohn­anlage ein­gelebt und bereits begonnen, Eier zu legen — ein Zeichen dafür, dass sie sich wohl­fühlen. Kein Wunder, schließlich wurde beim Bau der Ställe darauf geachtet, dass diese genügend Komfort für ihre gefie­derten Bewohner bieten. Die massiv aus Holz gebauten Anlagen verfügen über aus­reichend Aus­lauf zum Scharren und Picken, sind durch eine feste Boden­platte und luftige, aber stabile Maschen­drähte gegen unge­betene Besucher gesichert und verfügen über ein bequemes Hühner­haus, in das sich die gefiederten Bewohner zwecks Eier­produktion zurückziehen können.

Auch bei den Mietern hat sich die Anfangs­euphorie nach dem Einzug der Hühner nicht gelegt. „Die Mieter berichten uns, dass sich die Hühner positiv auf die Nach­bar­schaft aus­wirken und man häufiger mit den Nach­barn ins Gespräch kommt und sich auch gegen­seitig vertritt, wenn ein Nach­bar mal krank oder im Urlaub ist. Obwohl die Hühner neben den Lebens­mittel­resten auch spezielles Hühner­futter hinzu­gefüttert bekommen, werfen die Mieter, die Hühner halten, kaum noch Ab­fälle in die Bio­tonne. Der Hühner­mist muss ebenfalls nicht über die Biotonne entsorgt werden, da die Mieter diesen zum Düngen der Gärten nutzen. Somit werden wir nach und nach weniger Bio­tonnen zur Verfügung stellen“, berichtet Lisa Ruck.

Das Pilotprojekt in der Wohn­anlage „Beethovenplatz“ ist der Bau­gesellschaft also geglückt. Nun soll es auch auf weitere Liegen­schaften aus­geweitet werden. Aktuell ist das Projekt in Deutschland und auch darüber hinaus noch einzig­artig. Ein ähnliches Modell gibt es bisher nur im franzö­sischen Colmar. Hier bieten die städtischen Entsorgungs­betriebe Haus­besitzern kostenlose Hühner an, um das Aufkommen von Bio-Abfällen zu reduzieren. Allerdings gilt das Angebot nur für Haus­besitzer mit eigenen Gärten. Wenn das Modell der Bau­gesellschaft Hanau weiter­hin erfolg­reich läuft, werden ähnliche Projekte jedoch sicherlich auch für andere Vermieter interessant.

Für die Um­setzung des Projekts hat die Bau­gesellschaft sich fach­männisch beraten lassen und umfang­reiche Recherchen geführt. Unter anderem musste geklärt werden, wie die Hühner art­gerecht gehalten werden, welche recht­lichen Rahmen­bedingungen zu beachten sind und welche Hühner­­rasse sich besonders für das Projekt eignet. Nach inten­siver Suche und Beratung mit Fach­leuten hat man sich für die Rasse „Zwerg-Welsumer” ent­schieden, die sich durch eine robuste Gesund­heit und ein zutrau­liches Wesen gut für die Haltung in den Wohn­anlagen eignen. Der Name sagt aber nichts über die Pro­dukte aus: Die Eier können sich von Größe und Qualität mit jeder anderen Rasse messen und fleißig sind die gefie­derten Freunde auch. Rund 200 Eier legt jedes Huhn pro Jahr. Bei rund vier bis fünf Hühnern pro Stall bleibt da zweifel­los auch noch etwas für die Nach­barn übrig.

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